Laudatio von Jürgen-Thomas Ernst: Inklusion braucht Mut

55. Dr.-Toni-und-Rosa-Russ-Preis und -Ring an Judith Bechtold und Ingrid Rüscher: Inklusion müsse stets aktiv verteidigt und gefördert werden, betont Festredner und Schriftsteller Jürgen-Thomas Ernst.
Von Mirijam Haller und Matthias Rauch
Bregenz “In der Literatur gibt es viele Beispiele von Schriftstellerinnen und Schriftstellern, die über Menschen mit Behinderung schreiben”, zeigt Schriftsteller Jürgen-Thomas Ernst zu Beginn seiner Laudatio auf. Und oft ist ihnen etwas gemeinsam: Es sind Geschichten von aufgezwungenem Außenseitertum, vom verstoßen werden aus der Gesellschaft, in der man lebt. “Dabei zu sein in einer Gemeinschaft und ein Teil von ihr zu sein ist ein grundlegendes menschliches Bedürfnis. Das sollte außer Frage stehen”, fasst er das Anliegen der beiden Russpreisträgerinnen Ingrid Rüscher (66) und Judith Bechtold (69) am Montagabend zusammen.

Man müsse sich nur vorstellen, was es für einen selbst bedeuten würde. An einem Ort zu leben, in dessen Kirche und Gasthaus man nicht willkommen ist. Die Bäckerei und die Schule nur von außen zu kennen, überall scheel angesehen werden. Das Gefühl von Heimat in einem Ort, in dem jeder jeden kennt, verweigert zu bekommen. Situationen, die Ingrid Rüscher und Judith Bechtold mit ihren eigenen Kindern erlebt haben. Situationen, die sie noch heute teilweise erleben. Situationen, die so auch alte, kranke, fremde Menschen wiedererkennen. Situationen, die sie nicht akzeptiert haben. Sie wollten, dass ihre Töchter am Leben im Dorf teilhaben– und auch andere Kinder mit Beeinträchtigung.

Aufgrund Ihrer Datenschutzeinstellungen wird an dieser Stelle kein Inhalt von Iframely angezeigt.
Aufgrund Ihrer Datenschutzeinstellungen wird an dieser Stelle kein Inhalt von Youtube angezeigt.
Aufgrund Ihrer Datenschutzeinstellungen wird an dieser Stelle kein Inhalt von Sonstige angezeigt.
Ernst erinnert in seiner Festrede an die Herausforderungen, die die beiden Mütter und ihr Verein Integration Vorarlberg über die vergangenen Jahrzehnte im Kampf um Inklusion kennenlernten. Etwa, ewiger Bittsteller bei Behörden zu sein. Bedenken und Widerstand durch die Eltern der anderen Kinder. “Man muss viel kräftiger rudern als die anderen, um dabei zu sein und um ein Teil der sozialen Gemeinschaft zu werden und zu bleiben”, nimmt er ein Zitat Rüschers auf. Es könne jeden treffen, etwa nach einem Hirnschlag oder Verkehrsunfall. Man wünsche sich beinahe italienische Verhältnisse. Hier wurden bereits vor 50 Jahren Sonderschulen abgeschafft und Inklusion von Anfang an verordnet und daraufhin auch gelebt. “Und es ist nicht selbstverständlich, dass das Erkämpfte und das Erreichte Bestand hat.” Dies gelte bis heute, nichts ist in Stein gemeißelt. “Alles will mit Achtsamkeit beschützt werden. Ganz egal, ob es sich dabei um Inklusion oder um unsere Demokratie handelt”, wünscht er dem Verein und unserer Gesellschaft auch weiterhin viel Tatkraft.
Die wahren “Leistungsträger”
Finanzminister und designierter EU-Kommissionskandidat Magnus Brunner hob in seiner Rede die Bedeutung von Anerkennung und Dankbarkeit gegenüber jenen hervor, die oft im Schatten stehen und deren wertvolle Arbeit selten die Aufmerksamkeit erhält, die sie verdient. Als Politiker sei er es gewohnt, den sogenannten “Leistungsträgern” zu danken.

An diesem Abend richtete Brunner seinen Dank an diejenigen, die sich im Dienst des Gemeinwohls, der Menschlichkeit und der Solidarität engagieren. Er betonte die Rolle dieser Menschen, die unermüdlich für eine bessere Gesellschaft eintreten: “Das Eine ist zu wissen, was zu tun ist, aber das Andere ist, es auch wirklich zu tun. Die Preisträgerinnen haben sich 1989 dazu entschlossen, aktiv zu werden und etwas zu tun.”

Statements von Wegbegleiterinnen:



Aufgrund Ihrer Datenschutzeinstellungen wird an dieser Stelle kein Inhalt von Youtube angezeigt.
Musikalisch und kulinarisch durch den Abend
festakt Die musikalische Begleitung durfte bei der Verleihung des 55. Dr.-Toni-und-Rosa-Russ-Preises nicht fehlen. Dafür sorgten Philipp Lingg und Martin Grabner, die das Publikum mit ihren Klängen begeisterten. “Ich kenne Ingrid Rüscher und ihre Tochter Stephanie von zahlreichen Konzerten, etwa im Bahnhof Andelsbuch”, betont Lingg die Verbundenheit mit den Russpreisträgerinnen. So gab es auch gemeinsame Veranstaltungen mit dem Verein Integration Vorarlberg. Für die Bregenzerwälder Musiker daher auch eine schöne Geste, an diesem besonderen Abend für die Inklusion im Land einen Beitrag leisten zu können. Gesungen wurde in diadenglisch, zwischen Dialekt und Englisch. Nach der zauberhaften Darbietung mit Akkordeon und Schlagzeug folgte großer Applaus von den 550 anwesenden Gästen.


Zoltan Toth und sein Team von evenTZ by foodaffairs haben für die kulinarischen Genüsse unter den Gästen gesorgt.



