Reinhard Haller

Kommentar

Reinhard Haller

Trump und der Duft des Narziss

Vorarlberg / 14.11.2024 • 07:05 Uhr

Ursachenanalyse, eine modernisierte Form des Wundleckens, hat nach dem für viele überraschenden Ausgang der amerikanischen Präsidentenwahl Hochkonjunktur. Die einmal mehr gebeutelten Wahlforscher berufen sich auf statistische Schwankungsbreiten, renommierte Politexperten sprechen lieber nicht mehr über ihre Vorhersagen und manche Meinungsmacher müssen kleinlaut ihre Grenzen erkennen. Einige geben weiterhin ihrer Empörung über Trump öffentlichen Ausdruck und für viele von uns Europäern ist schwer begreiflich, wie ein so skandalbeladener Mann gewählt werden konnte. Die Analysten argumentieren mit Trumps Volksnähe und seiner Entertainmenterfahrung, mit der guten Wirtschaftslage während seiner ersten Regierungszeit und seiner scharfen Ausländerpolitik. Nur das Argument mit den einfachen Botschaften, mit dem man eigentlich die Wähler diskriminiert, hört man kaum noch, nachdem Trump in allen sozialen und intellektuellen Schichten gepunktet hat. Eigenartigerweise wird über das aus psychologischer Sicht schlüssigste Erklärungsmodell kaum nachgedacht, nämlich über die Wirkung des von Trump so überzeugend präsentierten Narzissmus.

„Eigenartigerweise wird über das aus psychologischer Sicht schlüssigste Erklärungsmodell kaum nachgedacht.“

Nun sollten Psychiater nach der sogenannten Goldwater-Regel keine Ferndiagnosen stellen, sondern maximal bestimmte Verhaltensweisen analysieren. Bei Trumps Inszenierungen, in denen er sich als Messias, als unverwundbaren Helden, als allmächtigen Problemlöser darstellt und seinen Anhängern ein goldenes Zeitalter verspricht, kann man aber gar nicht anders, als dies als narzisstisch zu bezeichnen. Vielen Menschen imponiert es, wenn sich jemand über alle Konventionen hinwegsetzt, seine Phantasien als Wahrheiten verkauft, sich seine eigenen Gesetze schafft und es denen da oben – ob in Politik oder mächtigen Medien – so richtig hineinsagt. Einer solchen Persönlichkeit traut man aber auch eher zu, scheinbar unlösbare Konflikte lösen und in verfahrenen Situationen andere Wege als das Politestablishment gehen zu können.

Deshalb bin ich mir nie ganz sicher, ob der ohnehin vielfach unterschätzte Donald Trump wirklich ein so grandioser Narzisst ist oder ob er diese Rolle ganz bewusst spielt. Vielleicht ist er ein viel bessere Psychologe, als wir wahrhaben wollen. Vielleicht hat er nur früher als die andern instinktiv gefühlt, dass man viele Wähler, nicht nur die unzufriedenen, mit der Aura des Narzissmus beeindrucken kann.

Nichts jedoch ist so betörend, aber auch so gefährlich, wie der psychologische Duft des Narziss.

Univ.-Prof. Prim. Dr. Reinhard Haller ist Psychiater, Psychotherapeut und früherer Chefarzt des Krankenhauses Maria Ebene.