60 Jahre Fußachaffäre: Die Schiffspatin des Volkes

Der 21. November 1964 wurde zu einem Eckpfeiler der Vorarlberger Identität und Selbstverständnisses in der noch jungen zweiten Republik. Mittendrin eine junge Dornbirnerin.
Fußach Die Neugier lockte Trudi Nagel, damalige Hartmann, am 21. November 1964 nach Fußach. Die damals 36-Jährige arbeitete an diesem Tag in Dornbirn und bemerkte, dass auffallend viele Menschen unterwegs waren. “Da habe ich gesagt, ich schaue nach, was da los ist. Es war ja sonst nie was los”, erinnerte sie die 2019 verstorbene Zeitzeugin anlässlich des 50. Jahrestags 2014 zurück.
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So führte der Weg der gebürtigen Deutschen nach Fußach, in die dortige Werft. “Hunderte, Tausende Menschen waren da”, erklärt Nagel. Die Stimmung war bereits aufgeheizt. “Wie soll ich sagen, es war irgendwo wie, wenn eine Suppe anfängt zu kochen. Es fing an zu brodeln.” Tatsächlich war die Stimmung in Vorarlberg bereits seit Tagen in Turbulenz. Während die Vorarlberger Landesregierung den Namen “Vorarlberg” für das neue Bodenseeschiff der Bundesbahnen vorschlug, entschied sich Verkehrsminister Otto Probst der SPÖ für den Namen des zweifachen Republikbegründers “Karl Renner”. Ein Novum am See, seit der Monarchie gab es keine nach Personen benannte Schiffe mehr am Bodensee. Im föderalistischen Österreich fühlte man sich ein Bundesland von der Bundesregierung übergangen.
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Protest aus dem Volk heraus
Der Unfrieden der Bevölkerung fand ihren Widerhall in den beiden damaligen Vorarlberger Tageszeitungen, dem Volksblatt und den Vorarlberger Nachrichten. Am Tag der Schiffstaufe riefen die VN die Bevölkerung direkt zur friedlichen Willenskundgebung auf, denn Probst brüskiere mit dieser Taufe ganz Vorarlberg. 20.000 Menschen versammelten sich an der Werft und machten Lärm. “Ich lege Wert darauf, dass das nicht organisiert war. Das ist spontan aus dem Volk gewachsen”, betont die Zeitzeugin. “Lasst den Wiener Schmäh, Vorarlberg liegt am Bodensee” und “Mehr Demokratie weniger Personenkult” war auf Transparenten zu lesen. Tomaten wurden geworfen, die Absperrungen überrannt. Rund 130 Gendarmen konnten einen Sturm des Werftareals nicht verhindern, als die Demonstranten die Umzäunung überwanden. Während sich die anwesenden Ehrengäste auf die ebenfalls anwesende “Oesterreich” flüchteten, entstand unter der Führung des ebenfalls bereits verstorbenen Ernst Marxgut die Idee einer Nottaufe. “Dann hat man mich genommen, ich habe furchtbar gezittert”, erzählte Nagel. Jemand fand den Text, den die Ministergattin Probst als Schiffspatin hätte sagen sollen und gab ihn ihr. Und so wurde aus Trudi Nagel die neue Schiffspatin der “Vorarlberg”. “Es war eine ganz feierliche Sache und ich war stolz im Nachhinein, dass ich dabei sein durfte”, betont sie.

Mit einem Strauß Rosen kehrte sie zu ihrem damaligen Gatten nach Dornbirn zurück. Ganz vorsichtig probte sie dort vor, wie ihr Mann zum Protest in der Werft stand, bevor sie sich als Schiffspatin der “Vorarlberg” zu erkennen gab. “Da bin ich zum Auto gegangen, die Blumen holen und habe gesagt: ‘Schau, die habe ich geschenkt gekriegt, ich habe das Schiff getauft'”. Die nächsten Tage war sie lokale Prominenz, ihr Schreibwarengeschäft wurde von Schaulustigen gestürmt, bevor der Alltag wieder einkehrte. Später heiratete sie in zweiter Ehe den damaligen Fußacher Bürgermeister Kurt Nagel. 2019 entschlief die Schiffpatin im Alter von 88 Jahren.
