Am Telefon
Die Frau liegt auf dem Diwan, das Radio läuft. Sie kann nicht mehr einschlafen, das Telefon läutet. Sie lässt es läuten. Bruckner läuft im Radio. Nachtmusik. Wieder läutet das Telefon. Wer ruft um diese Zeit an?
Beim achten Mal läuten – sie hat mitgezählt – steht sie auf, hält den Hörer an ihr Ohr.
„Wer ist da?“
„Ich bin’s.“
„Wer ist ich?“
„Oskar, dein altes Kind.“
„Ist etwas passiert?“
„Nichts ist passiert.“
„Wir reden doch nicht mehr miteinander.“
„Wir reden jetzt miteinander, Mama. Ich will wieder mit dir gut sein.“
Dir Frau weint.
„Ich will auch wieder gut sein.“
„Nicht weinen, Mama.“
„Wo bist du?“
„Vor deiner Tür?“
„Im Ernst? Vor meiner Tür?“
Die Frau geht in Socken die Treppe hinunter. Sie rutscht aus und fällt. Kann nicht aufstehen. Wo soll sie sich festhalten? Wo sich hochziehen? Sie ruft: „Oskar!“ Er muss mich hören, denkt sie, er steht vor meiner Tür.
„Oskar!“
Endlich gelingt es ihr, die Türklinke zu erreichen, sie müht sich, dreht den Schlüssel. Sie versucht aufzutreten. Der Knöchelt tut weh.
„Oskar“, ruft sie. „Oskar.“
Niemand ist auf der Straße. Still ist es auf der Straße.
Sie geht zurück zum Eingang, die Tür ist zu. Der Wind hat die Tür zugeschlagen. Was jetzt? Bei den Nachbarn ist es noch dunkel. Dezember. Schneeregen. Sie ist ausgesperrt.
An der Tür lehnt ihr Schistock, den sie bei Eis zum Spazieren verwendet.
Sie stützt sich darauf, geht ums Haus herum in die Garage.
Sie setzt sich ins Auto, der Schlüssel steckt, lange ist sie nicht mehr gefahren. Die Heizung funktioniert nicht. Es geling ihr, auf die Straße zu fahren. Unfrisiert, im Nachthemd, in Socken. Sie fährt zu ihrer Freundin. Klingelt an der Tür. Niemand öffnet. Sie setzt sich wieder ins Auto, geht wieder zur Tür, klingelt wieder. Die Pflegerin öffnet.
„Ist Maria da?“, fragt die Frau
„Maria schläft“, sagt die Pflegerin, eine Rumänin. „Ich darf sie nicht wecken. Hat Tabletten, muss schlafen. Viel Schmerzen.“
„Darf ich telefonieren?“, fragt die Frau. „Ich muss den Schlüsseldienst anrufen.
„Kaffee?“, fragt die Rumänin.
Es ist noch zu früh zum Anrufen, vor 8 Uhr wird sie niemanden beim Schlüsseldienst erreichen. Der Kaffee ist zu heiß. Die Rumänin schüttet ihre halbe Tasse in die Untertasse und schlürft.
Die Frau erzählt, wissend, dass die Rumänin sie nicht verstehen wird, es tut gut zu reden, sie erzählt von Oskar, und dass sie sich jetzt versöhnen werden, nachdem sie ein Jahr lang nicht mehr miteinander gesprochen haben.
Die Rumänin sagt:
„Mann mit Kindern in Rumänien, ich allein, hier.“
Monika Helfer ist Schriftstellerin und lebt in Hohenems.
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