Doris Knecht

Kommentar

Doris Knecht

Das kann man nicht einfach nochmal kaufen

Vorarlberg / 20.01.2025 • 10:36 Uhr

Da ist der Schaukelstuhl, den ich mal um fünfzig Euro bei einem Garagenflohmarkt erstand und erst Jahre später fand ich heraus, er ist von dem großen Designer Ronald Rainer. Der alte Lederkoffer mit hunderten Familienfotos, die Kinder als Babies, Kleinkinder, am Meer, auf Bergen. Die Box mit den winzigen Frühchen-Stramplern, die meine Kinder einmal finden sollen um zu sehen, wie klein sie waren. Die Bilder meiner Kinder an den Wänden. Die selbstgestrickten Pullis, die selbstgebauten Möbel, die von meiner Mutter gehäkelte Decke. Ein hübsches altes Lämpchen, der Sessel, den ich so lange im Netz gesucht und schließlich gefunden habe, eine Kristallvase vom Wiener Mistplatzflohmarkt, meine Lieblingstasse, auf die jemand sorgfältig „Fanziska“ gemalt hat, ich kaufte sie mit diesem Haus.

Das ist es, was mich, neben allem anderen was gerade passiert, derzeit beschäftigt: Häuser. Häuser und was sie ihren Bewohnern bedeuten, die sie eingerichtet haben. Und was es heißt, wenn so ein Haus plötzlich verschwindet mit allem was sich über Jahre und Jahrzehnte, mitunter über Generationen hinweg, darin angesammelt hat. Wenn ich die aktuellen Drohnenaufnahmen von Nordgaza sehe, wo sechzig Prozent aller Gebäude zerstört wurden, wenn ich die Bilder anschaue der niedergebrannten Häuser in Los Angeles, wo ganze Wohngebiete einfach nicht mehr da sind: All diese Häuser und die Dinge darin, sie haben den Menschen, die darin lebten, so viel bedeutet. Und auch wenn viele der Betroffenen in Los Angeles wohlhabend sind: die Erinnerungen, die persönlichen Dinge, die Kunst, die Sicherheit und Geborgenheit, die man man in diesem Zuhause fühlte: die kann man nicht einfach neu bauen und nochmal kaufen.

Einige der L.A.-Häuser kannte ich aus dem Internet, wie jenes der Köchin und Kochbuchautorin Molly Baz. Auf ihrem Instagram-Account kann man ihr Haus immer noch sehen, und auch, wie glücklich sie und ihre Familie darin lebten, wie begeistert sie kochte in ihrer sonnengefluteten, gelben Küche, wie sie darin Feste mit Freunden feierte und das erste Weihnachten mit dem Baby, das sie im Sommer bekommen hatte.

Wenn man so ein Haus gesehen hat, kann man die Verzweiflung der Leute, die es verloren haben, wirklich nachvollziehen. Und man fängt an darüber nachzudenken, wie man selber mit so einem Verlust umgehen würde.
Ich denke aber gerade nicht nur an Häuser, ich denke auch an die Mütter der israelischen Geiseln, die nach hunderten schlaflosen Nächten und unsäglicher Sorge nun endlich ihre Töchter in die Arme schließen konnten. Und ich denke an jene, die weiterbangen müssen: Hoffentlich sind bald alle daheim, in ihrem Zuhause, geborgen und in Sicherheit.

Doris Knecht ist Kolumnistin und Schriftstellerin. Sie lebt mit ihrer Familie in Wien und im Waldviertel.