Die Dame mit den Perlen
Wie bereits erzählt, saß ich am Kamin mit anderen alten Frauen, ich eine von ihnen, das Feuer knackte, und Funken und kleine schwarze Pünktchen wirbelten. Ein vornehmes Hotel. Ich war eingeladen. Um zuzuhören.
„Ach“, sagte die wuchtige Frau, die Bella genannt wurde, „wie das Leben so spielt, ich habe keine Ansprüche mehr. Gern würde ich Ihnen meine Perlen schenken.“
Zu mir sagte sie das. Sehr verlegen war ich. Perlen von einem fremden Hals, bitte nicht, ich schüttelte den Kopf.
„Mir ist Schmuck fremd“, sagte ich. „Danke trotzdem für Ihre Großzügigkeit.“
„Ich soll Ihnen meine Geschichte erzählen“, sagte sie. Ihre Augen waren ein wenig matt, als hätte sie ein bisschen geweint.
„Ich bitte darum“, sagte ich.
„Meine Eltern“, begann sie, „waren Evangelikale, mein Vater ein Missionar, meine Mutter beseelt von der Vorstellung, Jesus Christus säße still an unserem Mittagstisch. Meine fünf Schwestern lebten alle in diesem Sinn und zur Freude unserer Eltern. Ich war die einzige, die Jesus Christus nicht als engsten Freund haben wollte. Ich kannte ihn doch nicht, und er machte mir Angst. Einer, der mir auf die Finger schaut. Einer, der meine Gedanken weiß. Mit vierzehn nahm ich mir ein Herz, trat vor meinen Vater und sagte: Ich kann das nicht, ich kann nicht leben wie ihr, nämlich weil ich nicht glaube, was ihr glaubt. Er wollte mich beruhigen, legte seine große trockene Hand auf den Scheitel: Wir beten für dich, Bella, du wirst wieder zu uns zurückfinden, habe kein schlechtes Gewissen. Aber so viel sie auch beteten – am Morgen, am Abend, immer war mein Name in ihren Gebeten –, ich packte meine Sachen und lief aus dem Haus. Ich hatte eine Freundin, die bei ihrer Mutter lebte, die nahmen mich auf, bis ich etwas gefunden hätte, aber was hätte ich finden können. Ich sehnte mich nach freien Gedanken, wollte nicht in einem zugeschnürten Papiersack leben. Ich ertappte mich dabei, dass ich betete. Lieber Jesus, gib mich frei, sonst werde ich verrückt, steh nicht mehr neben mir!
Ich lernte einen Mann kennen, der wollte sich um mich kümmern. Ich heiratete ihn, und bald bekamen wir einen Sohn. Mein Sohn lebt nicht mehr. Glauben Sie mir, nichts lieber täte ich, als ihm nachzufolgen.
„Aber bitte, Bella!“, sagte eine der Zuhörerinnen. „Wir haben alles hier! Komm, trinken wir einen Cognac und machen gemeinsam die Augen zu!“
„Ja“, sagte Bella, „wir sind die Frauen mit den geschlossenen Augen, und dahinter funkelt die Liebe.“
Ich sagte: „Ist es nicht gut, unter Freundinnen zu sitzen, sich alles leisten zu können, ohne Verpflichtungen?“
Bella gab mir recht. „Ich könnte mich fallen lassen und würde aufgefangen. Aber was, wenn ich nicht aufgefangen werden will?“
Monika Helfer ist Schriftstellerin und lebt in Hohenems.
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