Hanno Loewy

Kommentar

Hanno Loewy

Kommentar: Die Allmacht der Lüge

Vorarlberg / 23.04.2025 • 13:46 Uhr

Vor kurzem habe ich zum ersten Mal einen Erklärungsversuch für den Erfolg von Donald Trump gehört, der mich zugleich überzeugt und zutiefst erschreckt.
Wie kann es sein, dass jemand der jeden Tag ganz offensichtlich so dreist lügt, dass sich die Balken biegen, eine blinde Gefolgschaft von Millionen Menschen hinter sich scharen kann? Er tischt den Leuten auf, sie würden von Zöllen profitieren, deren Wirkung doch darin besteht, Waren teurer zu machen, und zwar für die, die sie kaufen. Also für die US-Amerikaner. Und die sie auch teurer machen für die, die aus und mit all den auf dem Weltmarkt gehandelten Halbfertigprodukten und Rohstoffen in den USA irgendetwas zusammenbauen wollen, egal ob Autos, Kühlschränke oder Mobiltelephone.

„Wenn keine Realität, kein Faktencheck mehr unsere Macht bremst, dann leben wir in einem Paralleluniversum.“

Natürlich gibt es auch Leute, die daran verdienen. Zum Beispiel Trumps Freunde, denen er rechtzeitig vor den nächsten wilden Zolldrohungen Bescheid sagt, und die schon wissen, dass die Aktien am nächsten Tag ihren Wert verlieren werden und man rechtzeitig besser verkauft. Und natürlich kann Trump, indem er auf diese Weise Angst und Schrecken verbreitet, auch Chefs großer Konzerne dazu zwingen, irgendwelche Dinge zu tun, die seine, Trumps Macht mehren, auch wenn sie damit Arbeitsplätze und Produktionsketten gefährden.

Aber welchen Reiz hat das für die Menschen, die auf diese Weise um ihr Geld, ihre Jobs, ihre medizinische Versorgung, ihre Sicherheit und ihre Zukunft gebracht werden? Judith Butler, zu deren Fans ich eigentlich nicht mehr zähle, hat dazu eine überraschend einfache und irgendwie frappant überzeugende These gewagt: Wer so dreist lügt und betrügt, wie Donald Trump (und all die anderen Orbans, Netanjahus und Kickls dieser Welt, die im Vergleich dazu freilich wie Amateure wirken), erfüllt ein Bedürfnis. Das Bedürfnis nach Allmacht.

Und sei es das Bedürfnis, an dieser Allmacht wenigstens als Fan teilhaben zu dürfen. Wenn keine Realität, kein Faktencheck mehr unsere Macht bremst, dann leben wir in einem Paralleluniversum, indem nur noch zählt, was wir uns wünschen. Dann gilt der Triumph des Willens, wenigstens in unserem Kopf. Dann erfüllen sich unsere Ressentiments von selbst, dann werden wir gesund, auch ohne Wissenschaft, dann steigen zwar die Preise aber wir glauben trotzdem, dass wir größer sind, als je zuvor. Und wenn wir arbeitslos sind, dann sind wir wenigstens mächtig gegenüber denen, die wir mit öffentlicher Lizenz verachten dürfen.

Dieses Prinzip verbreitet sich überall. Die Bundesregierung in Wien beschließt, den Familiennachzug von Geflüchteten zu stoppen. Sie weiß genau, dass das absolut jeder Integration (von der doch so viel geredet wird) im Wege steht – und entsprechend jene Probleme vergrößert, die man angeblich nicht haben will. Die aber super für den Wahlkampf sind. Sogar in Wien. Und sie weiß auch, dass es rechtlich eigentlich gar nicht erlaubt ist, das zu tun. Also entscheidet man sich für ein ganz offenes Täuschungsmanöver. Nein, wir schaffen den Familiennachzug nicht ab, wir weisen bloß die Beamten an, die entsprechenden Anträge verschimmeln zu lassen. Haha. So macht sich ein Rechtsstaat über sich selber lustig. Und so brauchen die Trumps eben nur abzuräumen, was eh schon nicht mehr ernst genommen wird.

Hanno Loewy ist Direktor des ­Jüdischen Museums in Hohenems.