Gebürtiger Lustenauer Jesuit Andreas Batlogg: “Ein Papst der Mitte”

Vorarlberg / 08.05.2025 • 21:55 Uhr
Gebürtiger Lustenauer Jesuit Andreas Batlogg: "Ein Papst der Mitte"
Andreas Batlogg ist Jesuit, Theologe und Autor. Walter Glück

Der neue Papst Leo XIV. stammt aus Chicago, war Personalchef im Vatikan – und überrascht mit der Wahl eines Namens, der Programm sein könnte. Im VN-Interview spricht der Jesuit Andreas Batlogg über die ersten Signale, die schwierigen Baustellen – und warum der neue Papst keine Kopie von Franziskus sein wird.

Darum geht’s:

  • Andreas Batlogg analysiert neuen Papst Leo XIV.
  • Leo XIV. gilt als Brückenbauer und Mann der Mitte.
  • Herausforderungen: Missbrauch, Glaubensschwund und finanzielle Probleme.

Von Thomas Matt

Ein Amerikaner mit lateinameranischer Erfahrung, mathematischem Verstand und seelsorgerlichem Blick tritt das schwerste Amt der Christenheit an – zwischen Reformdruck, Krisenmodus und der Hoffnung auf Versöhnung.

In weniger als 24 Stunden haben sich die Kardinäle auf Robert Francis Prevost geeinigt. Der 69-jährige Augustinermönch aus Chicago war Personalchef des Vatikans. Er ist der erste US-Amerikaner in den Schuhen des Fischers. Hat Sie die Wahl überrascht?

Batlogg Ja und nein. Ich hatte auf Petro Parolin gesetzt der hoch im Kurs stand. Aber Prevost war auch unter den Favoriten. Er ist erst seit zwei Jahren Kardinal, hat viel internationale Erfahrung. Es sieht so aus, als ob das eine gute Wahl ist.

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Was sagt die Wahl des Namens Leo XIV. über den neuen Papst aus?

Batlogg Sein Namensvorgänger Leo XIII. ist 1903 mit 93 Jahren als einer der ältesten Päpste gestorben. Er hat die Sozialenzyklika „Rerum novarum“ geschrieben, die Mutter aller Sozialenzykliken. Die Wahl des Namens Leo ist mit Sicherheit ein Statement.

Donald Trump hat ja sofort gratuliert. Was weiß man über sein Verhältnis des neuen Papstes zum umstrittenen US-amerikanischen Präsidenten?

Batlogg Also „america first“ wird’s wohl kaum werden. Trump wird wohl zum Amtsantritt nach Rom reisen. Ich persönlich glaube nicht, dass Prevost eine Art diplomatischer Papst sein wird, wie es Pius XII. war. Bezeichnend finde ich seine Wahl am 8. Mai, exakt 80 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkriegs.

Leo XIV. gilt als ausgewiesener Mann der Mitte. Kann er sich – zumindest für den Augenblick – auf die Unterstützung aller Seiten verlassen?

Batlogg Das nehme ich an. Noch ist mir nicht bekannt, ob er im vierten oder fünften Wahlgang gewählt wurde. Aber jedenfalls hat er eine Zweidrittelmehrheit – diesmal waren das 89 Stimmen – auf sich vereinen können. Jeder Papst muss ein Brückenbauer sein. Einer, der vermitteln kann, der den Weg von Papst Franziskus weitergeht, aber eben anders. Vielleicht nicht so sprunghaft, nicht so direkt. Franziskus hat ja auch verletzt. Prevost ist Mathematiker und Kirchenrechtler. Die von Franziskus auf den Weg gebrachten Reformen müssen jetzt abgesichert werden. Der synodale Prozess, den Papst Franziskus noch aus der Gemelli-Klinik heraus bis 2028 verlängert hat, will gestaltet werden. Ich glaube, die Wahl von Leo XIV. garantiert, dass diese Dinge weitergehen. Er ist ein ausgewiesener Teamplayer.

Bei seinem Auftritt auf der Mittelloggia des Petersdomes hat Leo XIV. die Menschen mit dem klassischen Friedensgruß willkommen geheißen, Franziskus gedankt und Frieden und Gerechtigkeit zu seinen Leitthemen erklärt. Das scheint exakt das zu sein, was die Welt braucht. Nur, was kann ein Papst ausrichten?

Batlogg Ein Papst hat natürlich keine Divisionen, wie Josef Stalin abschätzig bemerkt hat. Aber der Papst kann erinnern. Er kann mahnen, motivieren. Er kann, wie es bei Franziskus hieß, ein Mann seines Wortes sein. Kardinal Giovanni Pattista Re hat in der Messe vor der Wahl daran erinnert: Wir stehen an einem Wendepunkt. Vieles ist bedroht. Die Kirche kann sich da nicht heraushalten.

Mit Benedikt XVI. trat ein Philosoph und Kirchenlehrer an die Spitze der katholischen Kirche, Franziskus wird als Papst Menschlichkeit in die Geschichte eingehen. Was lässt sich heute schon über Leo XIV. sagen?

Batlogg Ein mutiger, weiser Mann, politisch und pastoral erfahren. Er hat eine missionarische Prägung. Es geht ja immer auch um Evangelisierung. In Europa herrscht eine große Gottvergessenheit. Da bringt er schon auch seine Erfahrung aus Peru mit. Dort zu arbeiten war keine akademische Beschäftigung, er ist kein Schreibtischmensch. Ich glaube, er ist eine Mischung aus einem Intellektuellen und einem Hirten. Das ist vielversprechend. Er hat den Augustinerorden geleitet, ist international gut vernetzt, saß als Präfekt des Dikasteriums für Bischöfe an einer Schlüsselstelle des Vatikans. Er spricht Italienisch, Spanisch, Portugiesisch, Englisch, Französisch und Deutsch. Mit seinem Alter von 69 Jahren darf man davon ausgehen, dass er 15, 20 Jahre lang im Amt sein wird. Im Übrigen wird Leo XIV. sicher nicht Franziskus imitieren. Wir wissen nicht, welche Schuhe er heute anhatte, aber er hat die rote Mozetta getragen. Er wird seinen eigenen Stil suchen.

Das enorme Interesse an der katholischen Kirche wird nach der Verkündigung des 267. Nachfolgers des Apostels Petrus genauso rasch wieder abflauen, wie es aufgekommen ist. Danach folgt das Tal der Tränen: Missbrauch, Glaubensschwund, das Erstarken fundamentalistischer Kräfte in der Kirche. Fast übermenschliche Anforderungen an Leo XIV. …

Batlogg Ja, das sehe ich auch so. In vielen Nachrufen auf Franziskus wurde indirekt eine riesige Projektionsfläche für den Nachfolger aufgebaut. Wer kann das alles? Prevost übernimmt all diese Probleme: Den sexuellen Missbrauch. Die Frage, wie sich eine synodale Kultur bis in die kleinsten Gemeinden entwickeln lässt. Das wird dauern. Ja, er tritt in große Fußstapfen.

Bis hin zur Frage des Frauenpriestertums?

Batlogg Es ist noch früh, da etwas zu sagen. Aber die Tatsache, dass Leo XIV. Erfahrungen in Peru gemacht hat, wo er den Priestermangel hautnah kennengelernt hat, dass er viele Bischöfe bei den Ad-Limina-Besuchen gehört hat, zeigt uns, dass er die Lage einfach kennt. Die Frauenfrage ist ein weltweites Thema. Und sie wird eine entscheidende Frage sein. Er gab ja gestern in Rom auch lila und bunten Rauch, den Aktivistinnen entfacht hatten mit der Botschaft: Übergeht nicht die Hälfte der katholischen Menschen! Diakoninnen und Priesterinnen – da wird auch ein neuer Papst nicht drum herumkommen.

Den neuen Papst plagen zunächst höchst weltliche Sorgen. Die prekäre Finanzsituation des Vatikans ist eines der drängendsten Probleme. Seit über zwei Jahren hat der Vatikan keinen ordentlichen Haushalt mehr veröffentlicht; das strukturelle Defizit dürfte aber bei rund 80 Millionen Euro im Jahr liegen.

Batlogg Leo XIV. wird sich darauf stützen, was im Vorkonklave besprochen wurde. Da gab es eine Art Bestandsaufnahme. Kardinal Marx hat sogar von 82 Millionen Defizit pro Jahr geredet. Es ist ganz gut, wenn ein Deutscher sagt: Machen wir uns nichts vor! Da ist auch anzunehmen, dass jemand, der Chef des Dikasteriums für Bischöfe war, Konsolidierung hineinbringt. Spannend werden seine Personalentscheidungen sein. Was ist mit Raffaela Petrini, sie ist aktuell Regierungschefin des Vatikans, oder mit Simona Brambilla, die erste Frau, die zur Präfektin eines Dikasteriums ernannt wurde?

Franziskus hat im vatikanischen Gästehaus Santa Marta gewohnt und sich beharrlich geweigert, in den vatikanischen Palast zu übersiedeln. Er wollte unter Menschen sein. Wird auch Leo XIV. ein Papst zum Angreifen sein?

Batlogg Ich hoffe das. Es herrscht eine große Sehnsucht im Apparat nach einem Teamplayer.

Zur Person

Andreas Batlogg ist Jesuit, Theologe und Autor. Der gebürtige Lustenauer war bis Dezember 2017 Herausgeber und Chefredakteur der Kulturzeitschrift “Stimmen der Zeit” und ist Mitherausgeber der „Sämtlichen Werke“ Karl Rahners. Heute arbeitet er als Publizist und Mitglied des Seelsorgeteams von St. Michael in München.