Hanno Loewy

Kommentar

Hanno Loewy

Amerika gibt es nicht

Vorarlberg / 28.05.2025 • 17:13 Uhr

Peter Bichsel hat die schönsten Kindergeschichten geschrieben, die mich als junger Mensch beglückt haben. Weil sie mich gelehrt haben, dass alles auch ganz anders sein kann.

Die berührendste Geschichte handelt vom Hofnarren, den der spanische König hinrichten lassen will, weil er mit seinem Lachen die Menschen erschreckt. Und er handelt vom dummen kleinen Knaben Colombo, der an seine Stelle tritt und gar nicht lustig ist und deshalb ausgelacht wird. Doch der Knabe soll etwas werden, und so wird er Seefahrer. Aber in Wirklichkeit versteckt er sich im Wald. Und kehrt zurück und verkündet, er habe ein Land entdeckt. Da will sich Amerigo Vespucci aufmachen, das Land ebenfalls zu finden. Und als er zurückkommt, zwinkert er Colombo zu und spielt mit. Und so spielen seitdem, so erzählt uns Peter Bichsel, alle mit, die raunend von Amerika erzählen. Und sich wahrscheinlich auch im Wald verstecken.

„Die Universitäten, Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, werden zu Staatsfeinden erklärt.

Doch jetzt merken wir. Es hat Amerika gegeben. Jedenfalls das Land, das wir meistens so genannt haben, wenn uns die Abkürzung USA zu kurz und der ganze Name zu lang war. Das Amerika, von dem wir geträumt haben, dessen Verfassung mit einem Versprechen vom Glück begonnen hat, dieses Amerika gibt es nicht mehr. 100 und ein paar Tage mehr haben genügt, um uns alle Illusionen zu rauben. Und Illusionen sind doch wichtig, sie geben uns doch immerhin eine Richtung. Jeden Tag ein paar Dutzend faschistische Dekrete später ist vom amerikanischen Traum nichts mehr übrig. Menschen werden eingefangen und deportiert, ohne sich jemals etwas zuschulden kommen zu lassen. Die Universitäten, Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, werden zu Staatsfeinden erklärt. Ausländische Studierende sollen nicht mehr ins Land kommen. Dabei haben sie, ja vor allem sie, den technologischen und wirtschaftlichen Erfolg der USA geschaffen. Jeden Tag verhängt der ruhelos herumirrende Putschist im Weißen Haus Raubritterzölle gegen irgendjemand und nimmt sie wieder zurück und führt sie dann wieder ein. Liebäugelt mit Überfällen auf seine Nachbarn und Bündnispartner und paktiert lieber mit Diktatoren.

Seine Träume von Massenvertreibungen und ethnischen Säuberungen ermuntern zu Kriegsverbrechen. Und während er tausende Menschen aus dem Staatsdienst wirft, steigt die Staatsverschuldung erst recht ins Unermessliche. Nein Amerika gibt es nicht mehr.

Die Nachkommen einer jüdischen Familie aus Hohenems, die regelmäßig irgendwo in der Welt zusammenkommen, haben gerade beschlossen ihr für Washington geplantes Treffen lieber in Berlin abzuhalten. Was für eine Wendung. Aber wer garantiert noch für die Sicherheit von „Ausländern“ in jenem Land, an dessen Tor zu Welt die Freiheitsstatue dazu aufrief „Give me your poor“.
Peter Bichsel ist vor etwas mehr als zwei Monaten gestorben. Ob ihn die Nachricht, dass Amerika nicht mehr existiert, noch erreicht hat?

Hanno Loewy ist Direktor des ­Jüdischen Museums in Hohenems.