Monika Helfer

Kommentar

Monika Helfer

Kolumne: Das Talent (1)

Vorarlberg / 30.07.2025 • 08:56 Uhr

„Rebecca hat Talent.“ – Das war dem Vater geradezu eingeschossen, und er dachte nur, was passiert mit meinem kleinen Mädchen. Er war Tischler. Er saß am Küchentisch, vor sich einen komplizierten Plan, da lief Rebecca zu ihm und setzte sich auf seinen Schoß.

„Was machst du da, Papa?“, fragte sie und schaute auf den Plan.

„Ach, mein Schatz“, sagte der Vater, „ich bin zwar ein guter Handwerker, aber sobald ich rechnen muss, wird es für mich schwierig.“

Rebecca schaute auf den Plan und fragte, was da zu berechnen sei, worauf das hinauslaufen solle. Der Vater erklärte den Plan, und da sagte sie: „Lass mich einmal probieren“, und sie rechnete und füllte aus, was ihrem Vater nicht gelungen war.

Sie war erst sieben Jahre alt, ging in die erste Klasse. Schon ihre Formulierung war dem Vater unheimlich – „worauf das hinauslaufen soll“. Er rief seine Frau, und sie staunte nicht weniger.

Sie sagte: „Wenn wir schon dabei sind, über Rebeccas Talent zu reden, mir ist das auch schon aufgefallen.“ Sie hatte ihre Kaffeemaschine auseinandergenommen, weil sie nicht mehr funktionierte und konnte sie nicht mehr zusammenbauen. Rebecca konnte es. „Sie ist eben ein begabtes Kind, aber wollen wir es nicht übertreiben.“

Rebecca litt unter Kopfschmerzen. Eine Nervensache, sagte der Arzt. Immer wieder lag sie in ihrem Zimmer, konnte kaum essen und fühlte sich elend. Saß sie dann wieder im Klassenzimmer, fiel ihr alles leicht, leichter als jedem ihrer Klassenkameraden. Der Lehrer war verwundert und beobachtete sie genau. Sie war sehr zurückgezogen, im Pausenhof lehnte sie an der Wand und wartete, bis die Stunde wieder anfing. Ihre Mitschüler waren vorsichtig mit ihr, sie wussten von der Migräne.

Die Eltern gingen zum Hausarzt, um ein neues Rezept für Rebecca abzuholen, und dabei erzählten sie ihm von den Talenten ihres Kindes. Der Arzt kannte einen Kollegen und der wiederum einen anderen, und so ergab es sich, dass Rebeccas IQ gemessen wurde. 150! War das zu glauben? Wieder wurde gemessen, Tests gemacht. Es stand nun fest: Rebecca hatte einen IQ von 150. Einer der Tester sagte, das heiße bei einem Kind noch nicht viel, der könne mit dem Erwachsenwerden noch steigen. Ob fallen auch, fragte die Mutter. Das eher nicht, war die Antwort.

Alle waren aufgeregt.

Die Mutter sagte, das sei ein schlechtes Zeichen, keine Begabung sei das, sondern ein Fluch, das spüre sie. „Schaut sie doch an!“ Das Kind leide.

Ratlos und stolz war der Vater. „Von uns hat sie das jedenfalls nicht“, sagte er.

Rebecca stand scheu in ihrer Mitte und blinzelte. Was da gerade geschah, war ihr nicht angenehm. Der Vater hob sie auf, nahm sie in seine haarigen Arme und Rebecca schmiegte sich an seine Brust.

„Du wirst immer unser Schatz sein“, sagte er.

Fortsetzung nächsten Mittwoch.

Monika Helfer ist Schriftstellerin und lebt in Hohenems.