Der Polarbahn hinterher

Foto: Privat
Für Wolfgang Mertin
ist Russland eine zweite Heimat geworden.
Dornbirn. (VN-lip) Wolfgang Mertins Reportage „Die Polarbahn“ wird am 14. September auf „Arte“ erstmals ausgestrahlt. Dass Mertin Dokumentarfilmer werden würde, hätte er sich nicht gedacht. Der 71-Jährige wuchs in Ostdeutschland auf und begann eine Ausbildung zum Porzellanformengießer bei Meissen. Desinteresse an der Arbeit bewegte ihn dazu, sich beim Fernsehen als Sprecher zu bewerben. Angestellt wurde er schlussendlich als Redakteur und war später jahrelang als Korrespodent in Moskau tätig. „Meine zwölf erfolgreichsten Jahre als Journalist muss ich Russland zuschreiben“, so Mertin. Er wollte dem Land auch etwas zurückgeben und begann Dokumentarfilme zu drehen. „Das Bild, das die meisten von Russland haben, ist zu einseitig und zu politisiert. Die Menschen arbeiten hart und sind, trotz der oft schwierigen Bedingungen, glücklich“, erzählt Mertin voller Überzeugung.
Vorarlberg besser als Berlin
Heute lebt der gebürtige Deutsche in Dornbirn. „Wir haben hier immer wieder Urlaub gemacht, da unser Sohn in Vorarlberg lebt. Eines Tages hat es uns dann so gut gefallen, dass wir einfach geblieben sind. Wir sind sehr naturverbunden, und diesbezüglich bietet Vorarlberg natürlich mehr als Berlin. Auch die Menschen sind hier sehr aufgeschlossen und kommunikativ“, schwärmt Mertin. Die Filmerei in naher Zukunft aufzugeben hat er nicht vor. Dafür gebe es noch zu viele Geschichten zu erzählen. „Wenn ich von den Dreharbeiten heimkomme, ist mein Kopf wieder voller neuer Ideen. Ich lerne nämlich auf meinen Reisen immer wieder interessante Leute und Geschichten kennen. Ich kehre auch gerne wieder an vorher besuchte Orte zurück. So besuchte ich nochmals die Halbinsel Jamal, wo ich meinen letzten Film gedreht habe, um die Polarbahn zu dokumentieren“, berichtet Mertin.
Der Zug im hohen Norden
„Die Polarbahn“ dokumentiert den Alltag bei der nördlichsten Eisenbahn der Welt.Die Bahnlinie führt zum weltgrößten Erdgasfeld Bowanenko. Temperaturen bis unter minus 50 Grad Celsius und drei Meter Schnee sind üblich im Winter. „Es faszinierte mich, wie die Eisenbahn immer pünktlich die 572 Kilometer lange Strecke abfährt, trotz der schwierigen Bedingungen. Das ist für unsere Verhältnisse ein Wunder“, so Mertin. Aufwendige Technik und unermüdliche Einsätze der Eisenbahner ermöglichen die freie Fahrt der Bahn unter allen Wetter- und Klimabedingungen.
Die Polarbahn zerrüttelt aber auch die Lebensräume der Nordmenschen, welche hier seit Generationen leben. Das Nomadenvolk der Nenzen zieht mit seinen Rentieren auf der Polarhalbinsel von Ort zu Ort, denn sie sind gut an die harten Lebensbedingungen angepasst. „Das Faszinierende ist, dass sie mit so wenig auskommen, und trotzdem glücklich sind, während unsere Gesellschaft sehr materiell orientiert ist“, erzählt der Dokumentarfilmer. Die Polarbahn sehen sie mit gemischten Gefühlen. „Die Eisenbahn auf Jamal stellt das Nomadenvolk vor ein Entwicklungsproblem. Entweder sie resignieren vor der gesellschaftlich-ökonomischen Entwicklung oder werden von dieser mitgenommen, verlieren aber ihre kulturelle Identität“, erklärt Mertin.
„Viele meinen ja, dass Russland die kleinen Völker vernichtet. Das geschieht aber auch auf Europas Wunsch, denn hauptsächlich wir beziehen russisches Erdgas. Auch Europa muss dafür Verantwortung übernehmen“, findet Mertin abschließend klare Worte.
Die Eisenbahn fährt immer, trotz der harten Bedingungen.
Wolfgang Mertin
Zur Person
Wolfgang Mertin
Dokumentarfilmer für „Arte“
Geboren: 25.7.1942 in Schloßberg (eh. Ostpreußen)
Wohnort: Dornbirn
Familie: verheiratet, ein Kind
Hobbys: Schwimmen, Radfahren, Wandern