Dem Traumberuf erlegen

Andrea Marktl kann vom Unterricht nicht lassen – sie ist mit Leib und Seele Pädagogin.
Rankweil. (VN-tm) Wenn am kommenden Montag die ersten und zweiten Klassen der Rankweiler Volksschule Markt in den katholischen Eröffnungsgottesdienst strömen, werden sich die Kinder mit einer anderen Religion um Andrea Marktl scharen. Sie wird mit ihnen spielen, „ihnen Aufmerksamkeit schenken“, all das tun, wofür sie sich vor 40 Jahren entschieden hat. Andrea Marktl könnte seit zwei Jahren in Pension sein. Sie ging aber nicht. Seinen „Traumberuf“ lässt man nicht so einfach im Stich.
Slowenische Eintrittskarte
Dass es die Kärntner Maturantin 1973 nach Vorarlberg verschlug, lag an ihrer Herkunft: „Ich bin zweisprachig aufgewachsen, und in Vorarlberg suchten sie Lehrpersonen, die slowenisch sprachen.“ In Feldkirch hat sie die Pädagogische Akademie besucht und schon neben dem Studium mit Unterrichten begonnen.
Rasch merkte sie, dass die Kinder in keiner ihrer beiden Sprachwelten so richtig zu Hause waren. „In ihren Familien sprachen sie ein schlechtes Slowenisch und in der Schule schlecht deutsch.“ Andrea Marktl rät den Eltern bis heute, sich mit den Kindern in ihrer Muttersprache zu unterhalten. „Das ist die Basis für ein gutes Deutsch.“
Über Unterbeschäftigung konnte sie sich nie beklagen. „1975 habe ich eine erste Klasse ganz und eine dritte Klasse zur Hälfte übernommen.“ Außer Samstag hat Andrea Marktl jeden Nachmittag unterrichtet. Und in den 1970er- Jahren saßen noch 39 Kinder im Klassenzimmer. Und doch huscht kein Schatten betrüblicher Erinnerungen über ihr Gesicht, im Gegenteil. „Ich kann mich nicht erinnern, dass ich mich je gekränkt hätte, in die Schule zu gehen.“ Unterrichten ist ihr „Traumberuf“, betont sie.
Und das nützt sich nicht ab? 40 Jahre Kinder mit allem, was dazugehört: Gelächter und Geschrei, Weltschmerzopfer und Nervensägen? Aber Marktl winkt ab: „Ich hab die Kinder lieb.“ Heute noch. Dabei ist die Kärntnerin, so humorvoll sie sein mag, auch streng.
Ihr Geheimnis lautet: „Die ersten sechs Wochen entscheiden.“ In dieser Zeit hat sie stets die Grenzen abgesteckt. Dafür kam sie zeitlebens „fast durchgängig ohne Strafen aus“ und hatte kaum disziplinäre Schwierigkeiten.
Zu den Eltern pflegte sie eine gewisse Distanz. „Mein Prinzip war: So lange ich ihre Kinder unterrichte, bleibe ich mit den Eltern per Sie.“ Auch hat sie sich Hausbesuche – „zum Kaffee und so“ – stets verkniffen. Das hat es ihr leichter gemacht, dem elterlichen Notendruck am Ende der vierten Klasse standzuhalten. Den hat sie als enorm erfahren und ist froh, „dass ich das hinter mir habe“.
Heute gelassener
Andrea Marktl wird heuer Werken und Zeichnen unterrichten und als Stützlehrerin dort zur Verfügung stehen, wo man sie braucht. Sie wird jede Stunde penibel vorbereiten, hingeschludert wird bei ihr gar nichts. Sie wird „das wunderbare Team“ ihrer Schule genießen. Dass ihr das eines Tages keinen Spaß mehr machen könnte, kann sie sich gar nicht vorstellen. Zu den Qualitäten einer Lehrerin „vom alten Schlag“ – Noten etwa empfindet sie keineswegs als Unglück – kommt die Gelassenheit ihres Lebensalters hinzu. Und manchmal, wenn sie in Rankweil spazieren geht, winken ihr Schüler von früher zu. Oder sie findet Promotions- oder Taufanzeigen im Briefkasten, „meine ersten Schüler sind ja heute schon 40 plus“. Jede einzelne Nachricht beweist ihr erneut, „dass ich mich damals richtig entschieden habe“.
In den ersten sechs Wochen muss man die Grenzen abstecken.
Andrea Marktl
Zur Person
Andrea Marktl
hat nach ihrer Pensionierung als Volksschullehrerin einfach weiter unterrichtet.
Geboren: 1. Dezember 1950
Ausbildung: Gymnasium, PädAk
Laufbahn: Zwei Jahre bei der Post, dann Lehrerin in Koblach und Rankweil
Familie: verheiratet, ein Sohn