Pflichtbewusster Bürger

Hermann Wagner hält nichts davon, sein Wahlrecht ungenutzt zu lassen.
dornbirn. Nicht zu wählen, das war für Hermann Wagner nie ein Thema. „Das Wahlrecht sollte unbedingt wahrgenommen werden“, sagt er mit fester Stimme. Er selbst hält es bis heute so. Was den rüstigen Pensionisten aber trotz allem ärgert, sind die Versprechungen, die zu Wahlkampfzeiten gemacht und später nicht eingehalten würden. „Eigentlich“, denkt Hermann Wagner laut, „sollte es eine unabhängige Kommission geben, die bei allen Parteien überprüft, ob sie das, was sie zugesagt haben, tatsächlich umsetzen.“
Der 83-Jährige sitzt entspannt beim Frühstück. Der Stimmzettel für die Nationalratswahl ist ausgefüllt und im Kuvert verstaut. Später wird ihn eine „fliegende Wahlkommission“ abholen. Denn Hermann Wagner lebt seit gut drei Monaten im Pflegeheim an der Lustenauer Straße in Dornbirn. Ein Schlaganfall erfordert zumindest vorübergehend diese Form der Betreuung. Demnächst wird er in Tirol eine stationäre Reha absolvieren. Dann hofft er, wieder nach Hause zu können. Zu seiner Frau, die er bis zu seiner eigenen Erkrankung liebevoll umsorgte.
Zum Wechselwähler geworden
Bei wem oder welcher Gruppierung er diesmal das Kreuzchen setzte, will Hermann Wagner nicht verraten. „Das muss ich doch nicht, oder?“, fragt er mit jungenhaftem Lächeln. Nein, muss er nicht. Keine Probleme hat er hingegen mit der Frage, ob er ein treuer Wähler ist oder doch hin und wieder die Seiten wechselt. „15 Jahre lang habe ich meine Stimme stets der gleichen Partei gegeben“, erzählt der gebürtige Oberösterreicher. Dann sei er zum Wechselwähler geworden. Warum? „Weil die Versprechen nicht gehalten wurden“, kommt es prompt. Da kennt der sympathische Mann mit dem immer noch vollen lockigen Haarschopf kein Pardon.
Hermann Wagner erlebte auch die Zeit des Nationalsozialismus mit. 14 war er, als die Einberufung zur Musterung kam. Die anschließende Militärausbildung unterbrach immer wieder seine Lehre zum Sattler und Tapezierer. Dann wird er still. Mehr möchte er über seine Erlebnisse von damals offenbar nicht erzählen. Stattdessen macht Hermann Wagner einen großen Schritt zur ersten freien Wahl nach der NS-Herrschaft, die am 25. November 1945 abgehalten wurde. „Es war ein besonderes Gefühl, weil wir wussten, jetzt ist diese Zeit vorbei.“ Er hält kurz inne mit seinen Gedanken. Dann erzählt er wieder vom Hier und Heute. Dass er sich für Politik interessiert und fast alle Diskussionen während des aktuellen Wahlkampfs verfolgt habe. Wobei das Benehmen mancher Parteienvertreter den betagten Herrn schon erstaunte. Eine Mitbewohnerin meint: „Da hat sich gezeigt, wen man nicht wählen muss.“ Sagt’s und geht ihrer Wege. Hermann Wagner lächelt. Er denkt genauso.
„Es gibt genug zu tun“
Aber was wünscht er sich von der neuen Regierung? Eh klar: dass sie hält, was sie im Wahlkampf so großzügig ankündigte. Die Sicherung von Energie aus Wasserkraft beispielsweise. Oder den Ausbau der S 16. Die bessere Wertschätzung und Bezahlung des Pflegepersonals listet er ebenfalls auf. Und: „Ärzte, die in Österreich studieren, sollten mindestens drei Jahre hier arbeiten müssen“, würde er der nächsten Regierung auch gerne ins Stammbuch schreiben. Sein Fazit: „Es gibt genug zu tun.“
Hermann Wagner kam in den 1980er-Jahren nach Vorarlberg. Weil es in Oberösterreich keine Arbeit für ihn gab. In Bregenz fand er sofort eine Stelle. Er gründete eine Familie und erfreut sich jetzt an acht Enkelkindern.
Die erste freie Wahl 1945 war ein ganz besonderes Gefühl.
hermann Wagner
Zur Person
Hermann Wagner
Geboren: 11. Mai 1930 in Obernberg am Inn, Oberösterreich, seit über 30 Jahren in Vorarlberg
Wohnort: Dornbirn
Beruf: Pensionist
Familienstand: Verheiratet, zwei erwachsene Kinder, acht Enkelkinder