17 Kinder großgezogen

Kinderdorfmutter Gertrud Clausen möchte ihre Zeit im Dorf oberhalb von Dornbirn nicht missen.
Dornbirn. (ha) Fast drei Jahrzehnte war Gertrud Clausen im SOS-Kinderdorf in Dornbirn als Kinderdorfmutter im Einsatz. Und sie kann vieles erzählen. Von schönen und von anstrengenden Zeiten. Auch wenn sie schon vor zwölf Jahren in Pension gegangen ist, tut es ihr leid, dass es das Dorf am Knieberg, das lange Jahre für sie auch Heimat war, bald nicht mehr gibt. Gertrud Clausen erinnert sich noch gut an jenen Tag, als auf einen Schlag sechs Kinder aus Oberösterreich bei ihr einzogen: „Das Jüngste war gerade einmal 14 Monate alt. Alle waren kahl geschoren, keiner besaß eine Zahnbürste, regelmäßige Mahlzeiten kannten sie nicht.“ Sie alle stammten aus einer Familie, die mit der Erziehung komplett überfordert war. Und an die fremde Umgebung mussten sie sich erst gewöhnen. Das war nicht einfach, denn vor allem der älteste Bruder litt unter Heimweh. Was sich aber schnell änderte, als die Frage, ob er jetzt jeden Tag etwas zu essen bekomme, mit Ja beantwortet wurde. „Dann bleibe ich bei dir“, ließ der Bursche seine neue Mutter wissen, die nun wusste, dass sich die Geschwister im neuen Zuhause bald wohlfühlen würden.
Höhen und Tiefen
Das Gefühl täuschte sie nicht: „Der Jüngste blieb, von Unterbrechungen abgesehen, bis er 20 Jahre alt war in meiner Familie.“ Insgesamt saßen im Laufe ihrer 28-jährigen Zeit im SOS-Kinderdorf 17 Mädchen und Buben an ihrem Küchentisch, die ihre gesamte Kindheit und auch einen Teil ihrer Jugend im Dorf verbrachten. Wie in jeder Familie gab es Höhen und Tiefen.
Die Zeiten, als sich die Pubertät bemerkbar machte, vergisst Gertrud Clausen ebenso wenig wie die Familienfeste, als alle beisammen saßen und Weihnachten oder Geburtstage feierten. „Damit sich die Kinder aller Familien wohlfühlten, wurde ihnen im Dorf vieles geboten, angefangen von schönen Ausflügen über Veranstaltungen bis zu Ferienaufenthalten in Italien.“ Und wenn sich ein Kind einmal ein neues Kleidungsstück wünschte, dann konnte man sich an die dorfeigene Näherin wenden.
Dass sie manchmal an ihre Grenzen stieß, verschweigt die 67-Jährige nicht: „Wenn es besonders schwierig wurde, bekamen wir professionelle Hilfe von außen.“ Auch der Umgang mit den leiblichen Eltern war nicht immer einfach und erforderte viel Fingerspitzengefühl. Selbstredend, dass Clausen auch für ihre Schützlinge da war, wenn es Probleme in der Schule gab. „Es gab eine Zeit, als sieben Kinder aus meiner Familie fünf verschiedene Schulen besuchten. Man kann sich vorstellen, wie viel Elternabende und Elternsprechtage ich besuchen musste.“
Kontakte blieben
Ihre „Kinder“ sind inzwischen 40 und mehr Jahre alt. Und viele von ihnen pflegen nach wie vor Kontakt zu ihrer Kinderdorfmutter. Vor allem die Mädchen holen sich Rat bei ihr, wenn sie Sorgen haben. „Fast alle ,Ehemaligen‘ haben an ihre Zeit im Kinderdorf auch nach Jahren gute Erinnerungen“, glaubt Gertrud Clausen, dass sie ihre Arbeit gut gemacht hat.
Sie selbst kam 1973 deshalb ins SOS-Kinderdorf, weil ihr als Alleinerzieherin die Möglichkeit geboten wurde, ihren damals fünfjährigen Sohn bei sich zu behalten. „Da musste ich nicht lange überlegen“, bedankt sie sich heute noch für das Entgegenkommen der Kinderdorfleitung. Bereut hat sie den Schritt nie: „Ich würde diesen Beruf sofort wieder ergreifen.“
Ich würde diesen Beruf sofort wieder ergreifen.
Gertrud Clausen
Zur Person
Gertrud Clausen
Geboren: 1946
Wohnort: Dornbirn
Familie: einen Sohn