“Habe viel mitgemacht”

Wetter / 27.12.2016 • 18:28 Uhr
Andrea Feldkircher arbeitet seit acht Jahren für den Verein „Mensch zuerst“. Sie berät Menschen mit Lernschwierigkeiten.  Foto: VN/Kuster
Andrea Feldkircher arbeitet seit acht Jahren für den Verein „Mensch zuerst“. Sie berät Menschen mit Lernschwierigkeiten. Foto: VN/Kuster

Andrea Feldkircher tut es weh, wenn sie als geistig behindert angesehen wird.

Götzis. (VN-kum) Per E-Mail wandte sich Andrea Feldkircher an die VN. „Ich will in die Zeitung, damit man mal sieht, was ich mache“, schrieb die Bregenzerin. Die VN besuchten die 48-jährige Frau an ihrem Arbeitsplatz in Götzis.

Feldkircher arbeitet bei „Mensch zuerst“. Die vom Land ins Leben gerufene Organisation setzt sich seit knapp zehn Jahren für Menschen mit Lernschwierigkeiten ein, für deren Selbstbestimmung und Gleichbehandlung. „Früher hat man zu mir gesagt, dass ich geistig behindert sei. Aber das höre ich gar nicht gern. Das tut mir weh“, empfindet Feldkircher diese Bezeichnung als abwertend. Sie selbst sieht sich nicht als behindert an. „Ich nehme mich so, wie ich bin.“

Eine Begegnungsstätte

Acht Jahre arbeitet Feldkircher schon bei „Mensch zuerst“. Der Verein wird von ihr und fünf weiteren Menschen mit Lernschwierigkeiten geleitet. „Drei Unterstützer helfen uns dabei.“ Das Team bietet Beratung an: Gleiche beraten Gleiche. Einmal monatlich finden Gruppentreffen statt. „Da reden wir über verschiedene Themen wie Wohnen, Angst, Einsamkeit, Liebe und Sexualität.“ Auch Vorträge und Kurse finden hier regelmäßig statt. Der Verein hat sich zu einer Begegnungsstätte für Menschen mit Lernschwierigkeiten entwickelt.

In Gesprächen spürt Feldkircher die Probleme der Klienten auf. „Manche sind traurig, weil sie in der Werkstätte oder im Wohnheim Schwierigkeiten haben.“ Dann versucht sie das Problem aus der Welt zu schaffen, indem sie zum Beispiel die Betreuer ihrer Klienten informiert. Die Bregenzerin organisiert aber auch Ausflüge und Feiern. „Bei der Nikolausfeier waren 21 Leute da. Es war kein Stuhl mehr frei“, freut sie sich über das große Interesse. Der Job bedeutet ihr viel. „Mir ist es wichtig, hier zu schaffen. Mir wäre langweilig ohne Arbeit. Außerdem habe ich einen eigenen Zahltag.“

Sie schätzt auch ihre Arbeitskollegen sehr: „Ich könnte gar nicht ohne sie sein.“ In einen hat sie sich sogar verliebt. „Ich habe Marcel einen Brief geschrieben und ihm gesagt, dass ich ihn gerne habe und ihn als Freund haben möchte.“ Zu ihrer Überraschung fühlte Marcel gleich wie sie. „Und ich dachte, dass ich alleinbleiben und nie jemanden finden würde.“ Demnächst will das Paar heiraten. „Wir haben schon mit unseren Sachwaltern gesprochen.“

Ihr Freund war ihr eine Stütze, als ihre Mutter und ihre Schwester im vergangenen Jahr starben. „Ich hab’ viel mitgemacht“, sagt sie und meint damit nicht nur den Verlust dieser nahestehenden Menschen. Ihre Kindheit war schwierig. Feldkircher und einige ihrer Geschwister verbrachten mehrere Jahre in einem Kinderheim. „Angie“, wie sie von ihrer Mutter liebevoll genannt wurde, vermisste die Mama. „Sie durfte uns im Heim nicht besuchen. Das war hart für mich.“ Außerdem kam Angie mit der Kinderdorfmutter nicht aus. „Ich bin ins Baumhaus geflüchtet und habe dort zwei Nächte geschlafen.“

All das hinterließ Spuren auf ihrer Seele. Es gab eine Zeit, da stellte sie sich vor den Spiegel und schlug sich ins eigene Gesicht. „Aber heute geht es mir gut“, freut sie sich und denkt schon an die Hochzeit. Feldkircher träumt von einer Hochzeit in Weiß. Manche Träume gehen in Erfüllung. Andere nicht. Als junge Frau wäre sie gerne Kindergärtnerin geworden. „Ich mag kleine Kinder gern.“ Sie schnupperte zwei Wochen lang in einem Kindergarten. „Die Kinder hatten die größte Gaudi mit mir. Als ich ging, weinten sie.“

Ich dachte, dass ich nie jemanden finden würde.

Andrea Feldkircher

Zur Person

Andrea Feldkircher

berät Menschen, die wie sie Lernschwierigkeiten haben und organisiert für sie Ausflüge und Feiern. 

Geboren: 14. Mai 1968 in Bregenz

Wohnort: Bregenz

Hobbies: Schwimmen, Tanzen, Mandalas malen