Penicillin: Schimmelpilz wird „Wundermittel“

Wissen / 12.07.2013 • 17:11 Uhr
Im Zweiten Weltkrieg verwundete amerikanische Soldaten hatten durch die Behandlung mit Penicillin höhere Überlebenschancen als deutsche.
Im Zweiten Weltkrieg verwundete amerikanische Soldaten hatten durch die Behandlung mit Penicillin höhere Überlebenschancen als deutsche.

Wie das versehentlich entdeckte Antibiotikum den Zweiten Weltkrieg beeinflusste.

LONDON, SCHWARZACH. Ein Sommertag im Jahr 1928 in London. Alexander Fleming war damit beschäftigt, eine Nährbodenplatte mit Staphylokokken anzulegen.

Der 47-jährige Bakteriologe hatte begonnen, Substanzen auf ihre antibiotische Wirkung gegen diese Bakterienart und auch andere zu untersuchen. Das von ihm bereits sechs Jahre zuvor entdeckte Enzym Lysozym, welches das Wachstum von Bakterien hemmt, wirkt nur gegen harmlose Bakterien, gegen krankheitserregende Keime hingegen so gut wie gar nicht.

Fleming ließ also Krankheitserreger in Glasgefäßen auf einem Nährboden wachsen, trug dann die Testsubstanzen auf – und begab sich in die Sommerferien. Seine begonnene wissenschaftliche Arbeit hatte er vergessen.

Mehrere Wochen später, nach seiner Rückkehr ins St. Mary’s Hospital – es war der 28. September 1928 – erblickte Alexander Fleming die Glasgefäße wieder und bemerkte, dass auf dem Nährboden ein Schimmelpilz gewachsen war, der die Vermehrung der Staphylokokken in unmittelbarer Nähe verhindert hatte. Dem Schimmel, der die Bakterien umgebracht hatte, gab Fleming den Namen „Penicillin“.

Mit dem Schimmel startete der Wissenschafter nun eine Reihe von weiteren Versuchen. Dabei fand er heraus, dass Penicillin zwar verschiedene Arten von Bakterien abtötet, für Mensch und Tier jedoch ungiftig ist.

Rückgewinnung aus Urin

Fleming beschrieb zwar die Einsatzmöglichkeiten von Penicillin bei der Behandlung von bakteriellen Infektionen, aber bis zur Entwicklung des Wirkstoffes zum Medikament war es noch ein langer Weg.

In erster Linie musste die keimtötende Substanz aus dem Schimmelpilz isoliert werden. Das gelang erst zwölf Jahre später einer Gruppe von britischen Forschern in Oxford. Mittels Versuchen an Ratten und Mäusen stellten Ernst B. Chain, Howard Florey und Norman Heatley die sensationelle Wirksamkeit des Penicillins fest.

1941 wurde mit ersten klinischen Tests begonnen. Die Resultate waren erfolgversprechend. In jenem Jahr wurde der erste Mensch mit Penicillin behandelt: Ein Londoner Polizist, der sich eine Blutvergiftung zugezogen hatte, war nach Einnahme des Antibiotikums innerhalb von wenigen Tagen fieberfrei. Nachdem alle Symptome abgeklungen waren, wurde die Behandlung abgebrochen. Kurz darauf starb der Mann. Daraus lernten die Wissenschafter, dass die Einnahmedauer des Antibiotikums länger als die der Symptome sein muss.

Damals gab es allerdings nur sehr wenig Penicillin, deshalb musste es sogar aus dem Urin behandelter Patienten zurückgewonnen werden. Doch dann gelang es amerikanischen Forschern, eine neue Penicillin-Art zu züchten – das Penicillium chrysogenum. Damit war die industrielle Produktion des Antibiotikums gesichert.

Bis zu diesem Zeitpunkt waren viele Menschen an Infektionen, verursacht durch Bakterien, gestorben. Auch kleinste Wunden hatten zu schweren Entzündungen geführt und verliefen – ebenso wie Lungenentzündungen, Pocken oder Syphilis – tödlich.

Kein Penicillin für Deutsche

Während im Ersten Weltkrieg die meisten Kriegsverletzten durch Wundbrand dahingerafft wurden, rettete das Penicillin im Zweiten Weltkrieg vielen Verwundeten das Leben. Statistiken sagen allerdings aus, dass die Todesrate der verletzten deutschen Soldaten um ein Vielfaches höher war als die der Alliierten. Von den Deutschen starb jeder sechste, von den Alliierten nur jeder 25. Soldat. Außerdem kehrten die meisten Verwundeten der US- und britischen Armee wieder an die Front zurück, von den Deutschen kaum einer. Grund: Amerikanern und Briten stand bereits das „Wundermittel“ Penicillin zur Verfügung, den Deutschen jedoch nicht.

Anfangs wurden mit Penicillin ausschließlich verwundete Soldaten behandelt. Ab 1944 war das Antibiotikum auch für die Zivilbevölkerung verfügbar und zog weltweit in die Apotheken ein. Auch wenn heute viele Bakterienstämme gegen Penicillin resistent sind, wird der Wirkstoff weiterhin in der Medizin eingesetzt. Teils mit, teils ohne Erfolg.

Die Forscher Alexander Fleming, Ernst Chain und Howard Florey wurden 1945 für ihre Entdeckung mit dem Nobelpreis ausgezeichnet.