Eltern beginnen zu spät, ihren Kindern vorzulesen

Berlin Es muss nicht Goethe sein fürs Baby. Ein Bilderbuch wäre schon gut. Denn nach einer Studie der deutschen Stiftung Lesen fangen viele Eltern bei ihren Kindern zu spät mit dem Vorlesen an, nämlich erst mit neun Monaten und danach. Dahinter steckt nach Meinung der Autoren eine “Bildungsdenke”, die eine wichtige Komponente unterschätzt: Beim frühen Vorlesen geht es nicht allein um Spracherwerb. Es geht auch um gute Gefühle wie Geborgenheit. Einem Fünftel der Kleinkinder – auch das ergab die Umfrage – entgeht diese Erfahrung.
“Eltern haben oft eine sehr nüchterne Sicht aufs Vorlesen”, sagt Studienleiterin Simone Ehmig. Die meisten wüssten, dass es gut sei für die Sprachentwicklung und sähen es als Mittel zum Zweck. Deshalb unterstellten sie, dass ihr Kind schon etwas können muss, damit es etwas davon hat. Doch viele Eltern unterschätzten die emotionale Komponente dieses Rituals, ergänzt Ehmig. “Beim gemeinsamen Betrachten von Bilderbüchern entsteht vor allem Nähe, und dazu kommen gute Gefühle wie Sicherheit und Geborgenheit, kurz Kuschelglück für Eltern und Kind.”
Von einem drei Monate alten Baby lässt sich kaum verlangen, dass es länger Bilder anguckt oder einer Geschichte lauscht. “Ganz am Anfang hat es viel mit der Haptik zu tun”, erläutert Ehmig. “Kinder begreifen im wahrsten Sinne des Wortes, wie sich ein Buch anfühlt und was man damit machen kann. Es macht auch nichts, wenn sie da mal reinbeißen.” Die ersten Bücher seien meist aus Stoff, Plastik oder Holz. Materialien, die Kinder von ihrem Spielzeug kennen. “Bücher sind für sie dann später keine andere Welt, sondern gehören selbstverständlich zum Leben dazu.”
Die Lösung heißt für die Forscher: Ermutigung zu früherem Vorlesen, spielerisch, ohne Leistungsdruck oder mit der Angst, etwas falsch zu machen.