„Geisterwälder“ zeugen vom Klimawandel

Wissen / 10.11.2017 • 15:18 Uhr
„Geisterwälder“ breiten sich aus: Hunderttausende Hektar Wald sind bereits abgestorben. AP
„Geisterwälder“ breiten sich aus: Hunderttausende Hektar Wald sind bereits abgestorben. AP

Anstieg des Meeresspiegels führt zum Sterben ganzer Wälder.

Port Republic  Die Auswirkungen des Klimawandels kann man unter anderem an der Ostküste der USA mit eigenen Augen sehen. Dort führt der Anstieg des Meeresspiegels zum Sterben ganzer Wälder. Sie werden „Geisterwälder“ genannt – tote Bäume auf weiten Küstenlandstrichen, die das Meer überspült hat. Wissenschaftler sprechen von einem der sichtbarsten Zeugnisse des Klimawandels.

Der Prozess vollzieht sich seit Jahrtausenden auf natürliche Weise, aber er hat sich in den vergangenen Jahrzehnten beschleunigt. Polareis schmilzt, die Meeresspiegel steigen, Salzwasser dringt ins Inland vor und lässt Bäume sterben – dort, wo sie einst grünten und gediehen. Weltweit sind Forschungen im Gange, um herauszufinden, wie rasch sich die Geisterwälder ausbreiten. Aber Wissenschaftler stimmen darin überein, dass der erschreckende Anblick toter Bäume in einst gesunden Lebensräumen ein leicht zu erkennendes Beispiel für die Auswirkungen der globalen Erwärmung ist.

„Ich glaube, dass Geisterwälder der sichtbarste Indikator für Klimawandel überall an der Ostküste der USA sind“, sagt Matthew Kirwan, ein Professor am Institute of Marine Science in Virginia, der das Bäumesterben in seinem Staat und im benachbarten Maryland erforscht. „Es war vor 50 Jahren trockenes, nutzbares Land, jetzt ist es Marschland mit toten Stümpfen und toten Bäumen.“

Es geschieht rund um die Welt, aber Wissenschaftlern zufolge ist es besonders in Nordamerika erkennbar: Hunderttausende Hektar Wald, von Kanada die Ostküste herunter bis zum Südzipfel Floridas und gen Westen bis nach Texas, sind durch Salzwasser abgestorben. Das Salzwasser ändert an der Küste das Ökosystem, schafft Sumpfland, wo es einst Wälder gab. Das hat zahlreiche Auswirkungen auf die Umwelt, obwohl viele Wissenschaftler davor warnen, sie in die Kategorie „gut“ oder „schlecht“ einzuordnen: Was einer Spezies oder einem Ökosystem nützt, kann einem anderen schaden, sagen sie.

Weniger Lebensraum für Zugvögel

Zugvögel etwa, die auf Küstenwälder angewiesen sind, haben weniger Lebensraum. Und das Bäumesterben lässt Bodenmikroben Stickstoff freisetzen, der zu dem hinzukommt, was schon aus anderen Quellen stammt, so aus landwirtschaftlichen Abwässern. Das trägt zu Algenblüten bei und reduziert Sauerstoff, was Fische krank machen oder gar töten kann.

Aber der Wandel von Wald- in Sumpfland schafft auch „extrem produktive“ Feuchtgebiete, die Fische und Schalentiere beherbergen und ernähren. Der Atlantische Umber war beispielsweise in Gewässern des südlichen New Jersey noch vor 15 Jahren eine Seltenheit. Jetzt kommt der Fisch im Überfluss vor, wie Professor Ken Able von der Rutgers University erläutert.

In den vergangenen 100 Jahren sind Kirwan zufolge gut 40.000 Hektar Wald an der Chesapeake Bay in Maryland zu Marschland geworden. Fotos zeigten, dass die Verlustrate von Küstenwald heute vier Mal größer sei als in den 1930er-Jahren. Gewässer vor der Ostküste seien in den vergangenen 100 Jahren um etwa 40 Zentimeter angestiegen, sagt Ben Horton, ebenfalls ein Professor an der Rutgers University. Das sei ein größeres Tempo als in den vergangenen 2000 Jahren zusammen.

Schwere Stürme können Salzwasser noch weiter ins Inland treiben und Waldbestand vernichten. So wird angenommen, dass der Supersturm „Sandy“ im Jahr 2012 einige Bäume im südlichen New Jersey sterben ließ. Der Unterschied ist laut Kirwan, dass überflutete Gebiete in der Vergangenheit ausgetrocknet sind, bevor Salzwasser die meisten Bäume tötete.