„Heimat ist ein Begriff, der stets im Wandel ist“

Ulrich Gabriel im Gespräch über den MundartMai, Dialekte, Heimat und seine Pläne.
Dieser Monat steht ganz im Zeichen des MundartMai – wie sind Sie bisher mit dem Verlauf dieser Veranstaltungsreihe zufrieden?
GAUL: Sehr. Die Veranstaltungen, die bisher stattgefunden haben, waren alle in prima Qualität und sehr gut besucht. Die Texte werden sowohl sprachlich als auch inhaltlich experimentierfreudiger. Eine besondere Rolle bei den Lesungen spielt auch die spezifisch ausgewählte Musik. Beim MundartMai arbeiten wir wiederum vorwiegend mit aufgeweckten Dörfern und Gemeinden in Vorarlberg und der Ostschweiz zusammen.
Der MundartMai findet heuer zum dritten Mal statt. Ist das Interesse an der Mundart in dieser Zeit gewachsen?
GAUL: Ja, eindeutig. Das hat vielleicht auch mit dem Trend zu tun. In Zeiten der globalen Gleichschaltung, Gleichverwaltung und leider auch Gleichgestaltung geht die Unterscheidbarkeit verloren. Jetzt entdecken die Leute wieder, dass in der Verschiedenheit der Reiz liegt. Der Unterschied wird wieder wichtig. Wir haben nicht eine Mundart in Vorarlberg, sondern zwölf verschiedene Dialekträume, darunter so unterschiedliche wie Lustenau oder den hinteren Bregenzerwald.
Was ist für Sie das Faszinierende am Dialekt?
GAUL: Dass es im Unterschied zum Schriftdeutsch eine natürliche Sprache ist, und zwar eine ausschließliche Sprechsprache, die bis ins 8. Jahrhundert zurückgeht, also uralt ist. Sie weist Laute und Rhythmen auf, die oft nur vom „native speaker“, der genau aus der kleinen Region seiner Mundart stammt, klanglich wiedergegeben werden kann. Die Mundart ist außerdem ehrlicher, man kann sich dahinter nicht so leicht verstecken. Die Haltung des Sprechers wird oft schon im Klang deutlich und an der Mundart lässt sich auch die Herkunft ziemlich genau erfassen. Du trägst in deiner Mundart auch deine erste Heimat ständig mit dir herum. Unser Dialekt hat Besonderheiten, die es in keinem anderen deutschen Dialekt gibt. In Dornbirn ist z. B. der Konjunktiv noch immer präsent, z. B. I güüb, I täät, I lüüß, I süüg usw. Alle unsere Mundarten kennen keine Mitvergangenheit, das wird am Beispiel des „gsi“ deutlich.
Viele alte Dialektworte werden kaum mehr verwendet, die jungen Generationen kennen sie nicht mal mehr. Sollte die Mundart allgemein mehr gefördert werden?
GAUL: Wenn ein Objekt nicht mehr in Gebrauch ist, stirbt auch das Wort dafür aus, daher ist es unsinnig, Dialektworte zu pflegen, deren Objekte verschwunden sind. Wir wollen ja keinen Museumsdialekt. Die Jungen kennen die Wörter, die sie brauchen, und die sprechen sie auch. Vieles, was Oma damals brauchte, benötigt der Enkel heute nicht, anderes ist dazugekommen. Z. B. die Kürzelsprachen der Jungen wie das SMSen, in dem viel kreative Sprachschöpfung stattfindet. Außerdem geht es nicht immer nur um die Jungen. Der MundartMai rückt die Mundart für einen Monat für alle in den Mittelpunkt, das erzeugt Impulse ins Neue und ins Alte und die Leute hören mehr auf ihre ureigene Sprache, vielleicht entdeckt sie mancher erst wieder neu.
Neben der kulturellen Erhaltung der Vorarlberger Mundart setzen Sie sich auch für ein gutes Miteinander der Kulturen ein. Morgen Abend findet z. B. in Lauteracher Hofsteigsaal der Maiencocktail unter dem Titel „Kulturen gemeinsam erleben“ statt. Was können wir uns darunter vorstellen?
GAUL: Das ist eine Kombination zwischen dem Frauenchor Hofsteig und dem Projekt „Heimatabend oder wie fremd heimisch wird“; ein Abend, an dem wir eine kleine Einwanderungsgeschichte Vorarlbergs in Liedern singen. Lieder bergen Geschichte und Geschichten und weit mehr Informationen als nur faktische. Hier werden schöne alte heimatliche Gefühle wach, vor allem zweiheimische.
Das Wort Heimat kommt in Ihren Programmtiteln immer wieder vor. Was bedeutet für Sie der Begriff Heimat?
GAUL: Heimat ist ein Begriff, der stets im Wandel sich befindet. Heimat ist ein Wort, mit dem man direkt ins Herz trifft, darum wird es auch so viel genützt, auch ausgenützt. Wichtig ist, das Wort ständig neu zu erobern, es aus der Mottenkiste herauszuholen, es zu putzen, zu erneuern und zeitgemäß zusammenzusetzen. Wo über Jahre zusammengearbeitet wird, entsteht Heimat.
Sie sind kulturell sehr vielfältig unterwegs. Welche Pläne haben Sie für die nächste Zeit?
GAUL: Viele. Eine Auswahl: ich habe drei Chöre mit heimatlichem Zukunftsformat: „Easy Global Singing“ mit Mehrheimischen, die „Singvögel“ der Lebenshilfe und den Flüchtlingschor „Flight voices“. Gauls Kinderlieder sind immer mit dabei, das „Heimatshuttle“ (www.heimatshuttle.at) fliegt ständig niederschwellig mit und im Herbst gibt es drei neue Bücher. Ein „Walser Lesebuch“ als das 13. der Lesebuchreihe von unartproduktion, mit Peter Langebner einen außergewöhnlichen Lyrikband mit „Fußballgedichten“ und mit Inge Dapunt, der ersten experimentellen Mundartautorin Vorarlbergs, bringe ich mein bisher außergewöhnlichstes Buch heraus: „Gödels zweiter Unvollständigkeitssatz für einsilbige Vorarlberger“.
Zur Person
Ulrich Gabriel alias GAUL
Geboren: 30.12.1947
Wohnort: Dornbirn
Familienstand: veränderlich
Lebensmotto: galaktisch
Infos zum MundartMai und den Programmen von Ulrich Gabriel gibt’s auf: www.unartproduktion.at